Kulturmanager, Literat & Satiriker


09. September 2021

„'tschuldigung, ich brauch' mal wieder ihre Erststimme“

mit diesen Worten erinnert Gregor Gysi auf unübersehbaren Wahlplakaten seine Wählerinnen und Wähler, die Berlinerinnen und Berliner, mal wieder daran, dass die Stunde des Schicksals geschlagen, diesmal für die Zeit nach Merkel, und wer kann die Merkel-Zeit heilen? Rot-Rot, Olaf Scholz und er, Gregor Gysi, denn Olaf Scholz hat die „Kompetenz für Deutschland“, wie auf den tiefroten Wahlplakaten zu lesen und Gregor Florian Gysi natürlich auch, der im Jahre 1989 zum letzten Vorsitzenden der SED gewählt wurde, bevor Willy Brandt den Deutschen in Ost und Wissen die Botschaft brachte - nun wächst zusammen, was zusammen gehört.

Und mal ehrlich, wer kann sich den 20. Deutschen Bundestag ohne GFG, ohne Gregor Florian Gysi vorstellen, der am 16. Januar 1946 in Berlin geboren wurde, und alle Höhen und Tiefen der deutschen Nachkriegszeit erlebte und da, wo er konnte mitgestaltete, in Ost und West, der aus der SED die PDS formte, und an deren Spitze von der Volkskammer in den 12. Deutschen Bundestags unter der Kuppel des Reichstages einzog, und dessen Reden zu Sternstunden des Parlamentarismus, selbst für seine politischen Gegner, wurden, denn Gregor Gysi war und ist eine großer Rhetoriker, der die Kunst der freien Rede wie kaum ein zweiter Politiker unter der Kuppel des Reichstages beherrschte und auch mit denkbar größter Wahrscheinlich auch in der Nach-Ära Merkel beherrschen wird, denn weder Willy Brandt, noch Carlo Schmid und auch nicht Helmut Schmidt sprachen unter der Kuppel des Reichstages.

Bedeutende Rhetoriker waren und sind große Verführer, wer denkt nicht an Adolf Hitler? Auch die Sportpalast-Rede des Reichspropaganda-Ministers Joseph Goebbels vom 18. Februar 1943 war ein Gipfelpunkt der Rhetorik, deren Geschichte mit Aristoteles beginnt, der in seinem Buch Rhetorik eine Systematik der Redekunst entwickelte. Für Griechen und Römer war die Rhetorik unerlässlich, wenn sie eine Tätigkeit als Juristen und Politiker anstrebten und Gregor Gysi wurde beides, in Ost und West, in beiden gesellschaftlichen Systemen, durch seine Rhetorik, denn was ist einleuchtender und erfolgversprechender, als die schlichten Gysi-Worte: tschuldigung, ich brauch´mal wieder ihre Erststimme?

Zu den berühmtesten Rhetorikern Roms gehörte Marcus Tullius Cicero, der von 106 bis 43 vor Christus lebte, und als Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph tätig war, wie Gysi, der bei der Bundestagswahl 2017 das Direktmandat des Wahlkreises Berlin-Treptow-Köpenick erkämpfte und sich seiner Wahl so sicher war, dass er sich nicht über die Landesliste absicherte, wie bereits im Jahre 2005, als er als Direktkandidat mit 40,4 Prozent der abgegebenen Stimmen siegte. 2009 siegte er mit 44,4 Prozent der Erststimmen und verteidigte seinen Wahlkreis 2013 mit 42,2 Prozent. Immer hieß der Sieger im Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick Gregor Gysi, und es käme einem politischen Tsunami gleich, wenn im Jahre 2021, in welchem Frau Merkel die politische Bühne für immer verlässt, um nur noch in stiller Privatheit zu leben, der Sieger im Wahlkreis 84 nicht Gregor Gysi hieße, der im Alter dem Römer Cicero in seiner Physiognomie immer ähnlicher wird, von dem nicht nur die Worte Omnia praeclara rara, Alles Vortreffliche ist selten, sonder auch diese worte die Zeiten überdauerten: Cuiusvis hominis est errare, nullius nisi insipientis in errore perseverare, jeder Mensch kann irren, aber Dummköpfe verharren im Irrtum. Und von Gregor Gysi werden diese Worte die Zeiten wahrscheinlich überdauern, die er am 23. Mai 1996 unter der Kuppel des Reichstags sagte: Wer die deutsche Einheit haben will, muss sich auch mit mir abfinden. Billiger ist sie nicht zu haben. Und natürlich dieser einfache wie schlichte Satz dürfte in die Geschichte eingehen, der bis zum 26. September im Wahlkreis 84 überall zu lesen ist: tschuldigung, ich brauch´mal wieder ihre Erststimme.

Im Jahre 2013 trat Fritz Niedergesäß für die CDU gegen Gysi an, 2017 versuchte es aus christlicher Verantwortung ein Niels Korte, und 2021 tritt die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen Gregor Gysi an. Die Wetter wetten jedoch mehrheitlich auf Gregor Gysi.



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