Kulturmanager, Literat & Satiriker


Der Orpheus Polens ist verstummt

31. März 2020

   

Ich musste an Orpheus, den Sänger und Dichter aus der griechischen Mythologie denken, als ich den Tod meines Freundes, Krzysztof Penderecki, am Sonntag, den 29. März über die Medien zur Kenntnis nehmen musste, den ich seit dem Jahre 1981 als Intendant der Münchner Philharmoniker, als Manager des NDR-Sinfonieorchester, das sich seit dem Jahre 2017 NDR-Elbphilharmonie-Orchester nennt, und als Leiter der Hauptabteilung Klangkörper des Mitteldeutschen-Rundfunks, wie auch als Gründer und Manager des Musikfestivals MDR-Musiksommer, durch sein ruhmreiches Leben seit dem Jahre 1981 begleiten durfte, der mit der Uraufführung seiner Passio et mors Domini Jesu Christi secundum Lucam, am 30. März 1966 im Sankt Paulus Dom zu Münster in Westfalen, zu einem der wenigen weltberühmten Komponisten aufstieg, einer Passion, der eine ebenso große Bedeutung zukommt, wie der Matthäus-Passion Johann Sebastian Bachs.

Krzysztof Penderecki gehörte bereits zu Lebzeiten zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der polnischen Nation, wie Johannes Paul II., der, als Erzbischof von Krakau, im zweiten Konklave des Jahres 1978, nach dem Tode Paul VI., und dem 33-Tage Papst, Johannes Paul I., zum Bischof von Rom gewählt wurde, und 26 Jahre, 5 Monate und 17 Tage das höchste Amt seiner Kirche innehatte, und dem Krzysztof Penderecki sein Te Deum widmete, welches Johannes Paul II., am 16. Oktober 1998 zum ersten Male in einem Konzert hörte, denn der Chor und das Sinfonieorchester des MDR führten das Werk in der Sala Nervi aus Anlass des 20. Jahrestages der Wahl des Erzbischofs von Krakau zum Pontifex der katholischen Kirche unter der Leitung Krzysztof Pendereckis auf. Und ich hatte das Konzert als Leiter der Hauptabteilung Klangkörper des MDR organisiert wie ich auch schon für das Papstkonzert des Mitteldeutschen Rundfunks des Jahres 1993, in welchem Werke von Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner und Pendereckis Stabat mater für Chor a-capella erklangen, verantwortlich gewesen.

Zu den großen Polen der Geschichte, wie Johannes Paul II. und Krzysztof Penderecki, gehört Nikolaus Kopernikus, der Astronom, Mathematiker, Arzt und Domherr aus Thorn, der mit seinem Buch De revolutionibus orbium coelestium, das Weltbild der katholischen Kirche infrage stellte, denn er postulierte, dass die Planeten, also auch die Erde, um die Sonne kreisten, und die Erde sich um ihre eigene Achse drehe. Das Buch wurde erst im Jahre 1543 in Nürnberg gedruckt und Kopernikus soll noch, er starb am 24.Mai 1543 in Frauenburg, dem heutigen Frombork in der Woiwodschaft Ermland-Masuren, ein Exemplar seines Buches in seinen Händen habe halten dürfen.

Und wer denkt nicht, wenn er sich die Frage stellt, wer waren die bedeutendsten Polen der Geschichte neben Johannes Paul II., Krzysztof Penderecki und Kopernikus, der an der Universität in Krakau studierte, und den Polen wie den Deutschen gehört, nicht an Frédéric Chopin, dessen Leben nach nur 39 Jahren in Paris verlöschte, und dessen Klavierwerke zum eisernen Repertoire aller Pianisten dieser Welt gehören, eine Musik, welche die Zeiten überdauerte, wie die Musik Pendereckis die Zeiten überdauern wird.

Und ich denke an Wladyslaw Bartoszewski, den Historiker, Publizisten und Politiker, der am 13. August 2009 in einem Interview für die Gazeta Wyborcza sagte: Wenn mir jemand vor über 6o Jahren, als ich geduckt auf dem Appelplatz des KZ Auschwitz stand, gesagt hätte, dass ich Deutsche, Bürger eines demokratischen und befreundeten Landes als Freunde haben werde, hätte ich ihn für einen Narren gehalten.

Bartoszewski, der dritte und sechste Außenminister der III. Republik Polen, der Ehrenbürger Israels, der am Warschauer Aufstand gegen Adolf Hitler teilgenommen, und der ein enger Weggefährte Lech Walesas war, wurde Botschafter Polens in Österreich von 1990 bis 1995. Bartoszewski, der vom Staate Israels als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurde, war auch ein bedeutender Schriftsteller und erhielt 1986 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Und ich denke, wenn ich an bedeutende Polen denke, nicht zuletzt an Witold Lutoslawski, der, wie Krzysztof Penderecki, zu den bedeutendsten Komponisten gezählt wird.

Mit Krzysztof Penderecki verbinden mich nicht nur hunderte Konzerte, für die ich ihn als Dirigenten seiner Werke verpflichtete, ob in Hamburg, Leipzig, Rom, Buenos Aires, Tokyo, Dresden, London, Luzern, München, Frankfurt und Hiroshima, sondern auch zwei seiner Kompositionen, die ich in Auftrag gab.

1981, als ich ihm und seiner Frau, Elsbieta Penderecka, zum ersten Mal im Kastens Hotel Luisenhof in Hannover begegnete, er war mit einem polnischen Orchester auf Deutschlandtournee, bat ich ihn, für die Münchner Philharmoniker eine Symphonie aus Anlass der Eröffnung der Philharmonie am Gasteig zu schreiben, und es wurde seine III. Symphonie, deren Uraufführung in 5-Sätzen am 5. Dezember 1995 erst zu Uraufführung kam und die Penderecki selbst dirigierte. Den dritten Satz dieser bedeutenden Symphonie, ein Adagio von tiefer Bedeutung, hörte ich zum letzten Mal unter seiner Leitung am 29. Januar 2017 mit der Staatskapelle Weimar. Es sollte meine letzte Begegnung mit ihm werden.

Und ich war der Auftraggeber des Werkes, welches die große Anne Sophie Mutter am 24. Juni 1995 im Leipziger Gewandhaus mit dem MDR-Sinfonieorchester unter Leitung meines Freundes Mariss Jansons uraufführte, dessen Tod die Musikwelt am 1. Dezember 2019 zu beklagen hatte, und mit diesem Konzert, dem 2. Violinkonzert mit dem Titel „Metamorphosen“ wurde der MDR-Musiksommer 1995 eröffnet. Das Werk widmete Krzysztof Penderecki Anne Sophie Mutter, mit der ihn eine langjährige Freundschaft verband.

Krzysztof Penderecki, der Orpheus Polens ist tot, aber sein Werk wird weiterleben, wie die Werke Bachs, Mozarts, Beethovens, die Kompositionen Bruckners, Tschaikowskys, Mahlers, Bartoks und Schostakowitschs. Und ich bin dankbar, dass ich zu denen gehörte, die sich seine Freunde nennen durften.



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