Kulturmanager, Literat & Satiriker


Essay auf den Tod Peter Schreiers

30. Dezember 2019

Ich begegnete Peter Schreier im Jahre 2011 zum letzten Mal beim Frühstück im Hotel Fürstenhof in Leipzig, als ich meine Freunde Erika und Otto Riel traf, sie waren als Mäzene der Felix Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung in die Bach- und Mendelssohn-Bartholdy-Stadt gekommen, und hatten, wie ich, einem Festakt der Stiftung am Abend vorher im Gewandhaus, beigewohnt, auf welcher Peter Schreier und Marcel Reich-Ranicki den ‚Internationalen Mendelssohn-Preis zu Leipzig‘ erhielten, und Kurt Masur, sichtlich von Krankheit gezeichnet, das Gewandhausorchester dirigierte, dessen Chefdirigent von 1970 bis 1996 und Ehrendirigent von 1996 bis 2015 er gewesen.

Jeder, der im Gewandhaus anwesenden Festgäste hatte gehofft, dass nicht nur der unvergleichliche Literaturpapst Reich-Ranicki spreche, dass vor allem Peter Schreier singen würde, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Peter Schreier saß mit seiner Frau in der linken Ecke des eleganten Restaurants mit Blick auf den Tröndlinring, und ich hätte ihn übersehen, wenn ich nicht seine Stimme gehört, die mich beim Namen rief. Unsere Bekanntschaft und Zusammenarbeit begann in den achtziger Jahren in München, als Manager der Münchner Philharmoniker hatte ich den Star aus dem anderen Deutschland engagiert, denn für Peter Schreier war die ‚Friedensgrenze‘, die Deutsche von Deutschen über Jahrzehnte trennte, kein unüberwindliches Hindernis, und ich lud ihn öfter bei seinen berufsbedingten Aufenthalten ins Restaurant Walterspiel im Hotel Vier Jahreszeiten ein, seinem Domizil, wann immer er in München weilte, denn er war, wie Dietrich Fischer-Dieskau und Hermann Prey, ein Star der Bayerischen Staatsoper, der dort nicht nur in Mozart-Opern brillierte, sondern auch als Palestrina in der gleichnamigen Oper von Hans Pfitzner, dessen Werke heute nicht mehr aufgeführt werden, außer von Christian Thielemann, der sich an der politischen Vergangenheit des Hitler-Adoranten nicht stört.

Bei einem der Essen machte ich Peter Schreier darauf aufmerksam, dass Adolf Hitler im Restaurant Walterspiel nicht nur durch die reiche Frau des Klavierfabrikanten Bechstein, ein Name der jüdischer nicht sein konnte, zum Diner, und das immer wieder, eingeladen wurde, sondern auch von seinem Duzfreund Siegfried Wagner, der nach dem Hitler-Putsch nicht nur ein Siegeskonzert im Odeons-Saal dirigieren wollte, seine Frau, Winifred, als Winifred Marjorie Williams im Jahre 1897 in Hastings in der Grafschaft East Sussex in Great Britain geboren, hatte seinem und ihrem Idol das Papier nach dem gescheiterten Putsch von 8. und 9. November 1923 in die Festung Landsberg gebracht, auf welchem er das Buch schreiben sollte, das ab 1933 mehr gekauft, beziehungsweise werden musste, als die Bibel – Mein Kampf – nein, Siegfried Wagner, der Sohn Richard Wagners, wollte auch nach dem Sieg seines Duzfreundes von München an der Seite seines Führers nach Berlin, über Bayreuth selbstredend mit marschieren, wie Benito Mussolini im Jahre 1922 nach Rom.

Siegfried Wagner, der Opern der Nachwelt hinterließ, wie Der Bärenhäuter, Bruder Lustig, Sonnenflammen, Der Heidenkönig, Der Friedensengel und An allem ist Hütchen schuld, konnte sich rühmen einer der wenigen zu sein, der den Führer und Gott der Deutschen duzen durfte, ein Privileg, welches nicht einmal Göring, Goebbels und Himmler genossen.

Ich vermied bei meinen Gesprächen mit Peter Schreier den anderen Diktator zu thematisieren, der länger regierte als Adolf Hitler – Erich Honecker, der von der friedlichen Revolution hinweg gespült wurde, die uns Angela Merkel bescherte, welche selbst die Sachsen nicht im Unklaren ließ, dass der Islam zu Deutschland gehöre, wie der Katholizismus der Päpste und die Kirchen Martin Luthers und Johannes Calvins.

Die Rolle des Palestrina war eine der Glanzrollen Peter Schreiers, der als Kruzianer seine Karriere begonnen hat. Die Kreuzschule in Dresden und die Thomasschule in Leipzig sind Bildungseinrichtungen von singulärem Rang und man kann nur jedem ‚Bildungspolitiker‘ empfehlen über die Musik als Unterrichtsfach und über ihre Bedeutung nachzudenken.

Peter Schreier war, bedingt durch seine musikalische Früherziehung, nicht nur ein Sänger, sondern ein umfassend gebildeter Musiker und ich konnte ihn als Dirigenten und Evangelisten der Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs in meiner Zeit als Leiter der Hauptabteilung Klangkörper des MDR mit dem Chor und Sinfonieorchester des Mitteldeutschen Rundfunks verpflichten, es waren Aufführungen die auch nicht von ferne daran erinnerten, wie heute sogenannte ‚Bachspezialisten‘ das Werke interpretieren, nach dem Motto, wer erreicht als erster den Schlussakkord. Sergiu Celibidache bezeichnete solche Spezialisten, als Dilettanten der übelsten Art, die man vom Podium jagen müsse.

Was mich an Peter Schreier immer erinnern wird, waren seine Liederabende, vor allem seine Interpretation des Liederzyklus Die Winterreise. Die 24 Lieder komponierte Franz Schubert im Herbst des Jahres 1827, ein Jahr vor seinem Tod – am 19. November 1928.

Peter Schreier war, wie Dietrich Fischer-Dieskau und Hermann Prey, der berühmteste Liedersänger und das über ein Zeitraum von Jahrzehnten.

Peter Schreier, der geniale Interpret, der bereits vor Jahren als Sänger verstummte, hat uns am Weihnachtstag des Jahres 2019 für immer verlassen, aber seine Tondokumente werden die Erinnerung an ihn wach halten, er war einer der ganz großen Musiker unserer Zeit.



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