Kulturmanager, Literat & Satiriker


31. Juli 2021

Die Frauen des Grünen Hügels von Bayreuth

Richard Wagner schloss am Nachmittag des 13. Februar 1883 gegen halb vier, bedingt durch einen Herzinfarkt im Palazzo Vendramin, die Augen für immer, während vielleicht oder auch nicht, ein Gondoliere unter seinem Sterbezimmer für einen Lord aus Cornwall, einen Industriebaron von Rhein und Ruhr oder aus Schlesien, der mit seiner Frau sich auf der Hochzeitsreise befand, und eine Fahrt mit einer Gondel gebucht, una canzone napoletana sang. Doch die canzona o sole mio kann es nicht gewesen sein, denn dieses Lied von Eduardo Di Capua entstand nicht mit Blick auf Capri und Vesuv, sondern in Odessa am Schwarzen Meer, und zwar während der Tournee eines neapolitanischen Tanz– und Unterhaltungsorchesters durch Russland, in welchem Di Capua Geige und Mandoline spielte, im Jahre 1898.

Cosima, seine Frau, die uneheliche Tochter seines Freundes Franz Liszt, der im Alter so bigott wurde, dass er, der Frauenliebling, in Rom die „Niederen Weihen“ empfing, und durch diesen Weiheakt zum Abbé der angeblich einzig wahren Kirche Jesu Christi wurde, und mit dem Stellvertreter Gottes, Pius IX., musizieren durfte, der Geige spielte, wenn er nicht betete, die Messe las, Gläubige und Ungläubige segnete, oder Gegner der Kirche der Nächstenliebe köpfen, keulen und vierteilen ließ, und zwar öffentlich, auf dem Ponte Sant´Angelo – soll tagelang nicht ansprechbar gewesen sein, um dann jedoch mit der ganzen Tatkraft einer Heroin die Leitung der Festspiele zu übernehmen.

Cosima Francesca Gaetana Wagner, ihre Mutter war die Gräfin und Schriftstellerin Marie d´Agoult, wurde am 24. Dezember 1837 in Bellagio am Comer See im Königreich Lombardo-Venetien geboren, welches damals zum Kaisertum Österreich gehörte, und der Gouverneur des Kaisers in Wien, Ferdinand I., der in Mailand über das Königreich wachte, war der Mann, dem Johann Strauß, der Vater, und nicht sein Sohn, der Walzerkönig, seinen berühmtesten Marsch widmete, Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky von Radetz, mit welchem alljährlich die Wiener Philharmoniker ihr Neujahrskonzert ultimativ beenden.

Cosima Wagner war es, die auf Drängen von Freunden nach Wagners Tod die Leitung der Festspiele übernahm, zu denen im Jahre 1888 Kaiser Wilhelm II. erschien, und die selbst Regie führte und für die Werktreue das oberste Prinzip ihrer Arbeit war, ein Wort, welches nicht wenigen „Regietätern“ von heute nicht mal ein müdes Lächeln entlocken kann, und die sich wundern, dass ihre Einfälle selten vom Publikum mit Beifall belohnt werden, dafür jedoch um so mehr durch die Feuilletonisten, die mehr als 90 Prozent ihrer fragwürdigen Rezensionen der Regie und nicht den Sängerinnen und Sängern, den Dirigentinnen und Dirigenten widmen. Wer erinnert sich bei diesem Untergang der Feuilletons nicht wehmütig an Joachim Kaiser, der eine Partitur lesen und der fundiert schreiben konnte, wenn auch Sergiu Celibidache ihm attestierte, dass seine Ohren mit Sauerkraut verstopft wären. Ich habe es als damaliger Orchestermanager der Münchner Philharmoniker, es war in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, vermieden den Maestro, der seine Kollegen als Dilettanten bezeichnete, mit einer Ausnahme – Wilhelm Furtwängler, zu fragen, warum Sauerkraut und nicht Möhren oder Sellerie.

Cosima Wagner überlebte ihren Mann um 57 Jahre, mit dem sie oft auf dem Altan ihres Hauses Wahnfried gestanden, und auf die Gruft schauten, und sie erlebte noch, dass Adolf Hitler, der Freund ihres Sohnes Siegfried, der vier Monate nach ihr, am 4. August 1930 starb, zum Freund des Hauses wurde, der im Jahre 1923 erstmals nach Bayreuth kam, drei Jahre, nachdem er mit Gesinnungsgenossen am 20. Februar 1920 im Münchner Hofbräuhaus die NDSAP gegründet, und wenige Monate, bevor er am 9. November einen Putsch inszenierte, der kläglich scheiterte. Und so konnte Siegfried Wagner kein Triumphkonzert im Odeons-Saal mit Werken seines Vaters und eigenem Musikgut veranstalten.

Siegfried Wagner soll zu den wenigen gehört haben, die den Führer duzen durften, und Hitler schrieb das Buch Mein Kampf auf das Papier, welches Winifred, die Frau Siegfried Wagners, ihm in die Festung Landsberg schickte, vielleicht fuhr sie auch selbst von Bayreuth nach Landsberg am Lech, das den Deutschen nach der Niederlage im Jahre 1945 verboten wurde zu lesen, das mehr als 10 Millionen mal verkauft, ob es auch gelesen wurde, ist eine andere, wie müßige Frage, denn auch das Buch der Bücher, welches vom Wirken Gottes handelt, die Bibel, eines Gottes, der sich stets über die Menschen alteriert, wurde oft gekauft, aber wahrscheinlich nicht einmal von den Theologen von den fünf Büchern Moses bis zu den Briefen des Apostels Paulus an die Römer, Korinther und die Gemeinde von Thessaloniki gelesen, und einen Brief an die Athener hat Paulus nicht geschrieben, denn die Philosophen, denen er seinen Gott predigte, hätten ihn ausgelacht, denn sie waren nicht zuletzt Epikureer.

Winifred Wagner, die Erbin ihres Mannes Siegfried, welcher der Welt Opern-Kompositionen hinterließ mit Titel wie – Der Heidenkönig, Sonnenflammen, Der Friedensengel, Der Schmid von Marienburg, Die Heilige Linde und die Komposition Und wenn die Welt voll Teufel wär – war von 1930 bis 1944 die Leiterin der Festspiele auf dem Grünen Hügel über Bayreuth mit der Mitgliedsnummer 28.349 der NSDAP, die Joseph Goebbels im Jahre 1926, dem Jahr, in welchem die türkische Regierung unter Kemal Atatürk die Polygamie und das Haremssystem abschaffte und das Schweizer Zivilgesetzbuch übernahm, als Ein rassiges Weib bezeichnete und diesen drei Worten noch diese hinzufügte - So sollten sie alle sein. Und fanatisch auf unserer Seite.

Seit der Machtübernahme im Jahre 1933 erschien Adolf Hitler alljährlich auf dem Grünen Hügel und von 1936 bis zu seinem letzten Besuch im Jahre 1940 wohnte der Mann aus Braunau am Inn, der München zur Hauptstadt der Bewegung machte, die von Berliner Links-Intellektuellen bis zum 30. Januar 1933 als die „dümmste Stadt Deutschlands“ bezeichnet wurde im Siegfried-Wagner-Haus, neben dem Haus Wahnfried, und wahrscheinlich standen in den Nächten deutsche SS-Helden mit Fackeln um das Grab Richard Wagners, und hielten stumm und stramm die Totenwache.

Adolf Hitler war ein Kenner der Musik Richard Wagners, denn es wird kolportiert, dass er in seiner Wiener Jahren vierzigmal Tristan und Isolde gehört haben soll, und wahrscheinlich musste er dabei in Kauf nehmen, dass in der Kaiserlichen Hofoper Franz-Joseph I., der von 1848 bis 1916 regierte, der zum Katholizismus übergetretene Gustav Mahler dirigierte, denn in Wien wurde Hitler zum Judenhasser, nicht zuletzt durch den Bürgermeister Wiens, Karl Lueger, der seine letzte Ruhestätte unter dem Hochalter der seinen Namen tragenden Kirche auf dem Wiener Zentralfriedhof fand, die jetzt, nachdem man überlegt, seine Denkmäler zu schleifen, denn allzu ruchlos ist seine Name, bereits im Jahre 2000 von Dr. Karl Lueger-Gedächtniskirche in Karl-Borromäus-Kirche umbenannt wurde. Aber sollte der FPÖ-Chef Herbert Kickl irgendwann als Bundeskanzler Österreichs amtieren, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Kirche in Karl-Lueger und Adolf Hitler-Gedächtniskirche ein weiteres Mal umbenannt wird, denn Adolf Hitler zahlte noch im April 1945 seine Kirchensteuer – die katholische, denn er war und blieb Katholik.

Und als die Nacht sich über Bayreuth senkte, und die Götterdämmerung der Großen des Dritten und Tausendjährigen Reiches nicht mehr zu leugnen war, schrieb Winifred Wagner über ihren Abgott: Er ist ins Heldische emporgewachsen, ist unser Führer, durch Nacht zum Licht.

Ihre Söhne Wieland und Wolfgang übernahmen die Festspiele Bayreuth, und vor allem die Inszenierungen Wieland Wagners waren es, die den Ruf der Nach-Hitler-Zeit von Bayreuth prägten. Doch nicht Nike Wagner, die Tochter Wielands und Katharina, die Tochter Wolfgang Wagners traten gemeinsam die Nachfolge ihrer Väter an, sondern nur Katharina, die Tochter aus der Ehe Wolfgang Wagners mit seiner Sekretärin Gudrun Mack, deren Leben nur von 1944 bis 2077 währte. Katharina Wagner übernahm mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier die Festspiele, um ab 2015 die alleinige Herrscherin auf dem Grünen Hügel zu sein, und wenn der Stiftungsrat es will, es auch zu bleiben, und die im Jahre 2021 Angela Merkel, die aus dem Amt scheidende Bundeskanzlerin zu dem Wort „endlich“ veranlasste. Und dieses „endlich“ bezog sich auf die Dirigentin des Abends – Oksana Lyniv, die im 145. Jahr seit Gründung der Bayreuther Festspiele im Jahre 1876, als erste Frau auf dem Grünen Hügel dirigiert.

Oksana Lyniv, wurde in Brody geboren, wie Joseph Roth, Autor des Buches Radetzkymarsch, dem bekanntesten Roman, den er zu Papier brachte, und der am 30. Januar, dem Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler an Stefan Zweig schrieb: Inzwischen wird es Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zu einem neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbaren regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.

Die täglichen Horror-Nachrichten verbinden wir mit der Metapher über die Hölle auf Erden, doch die Frauen erobern trotzdem als eine der letzten Bastionen auch die Dirigentenpulte, denn wie sagte Angela Merkel: „endlich.“



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