Kulturmanager, Literat & Satiriker


22. Februar 2024

Der Tod eines Unbeugsamen

am 16. Februar starb Alexei Anatoljewitsch Nawalny, der Jurist, Dokumentarfilmer, Antikorruptionsaktivist, Dissident und Führer der Opposition im Reiche Putins und des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus, Kyrill I., der Putin als kak dar ot Boga, als Geschenk Gottes in den Gottesdiensten der heiligen und göttlichen Liturgie der Christ-Erlöser-Kathedrale Moskaus in Vergangenheit, und Gegenwart lobte und verherrlichte, im Konzentrationslager FKU IK-3 im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen, 1900 Kilometer von Moskau entfernt, und niemand weiß wann und wie Alexei Nawalny starb und wie er sterben musste, der es wagte, Präsident und Patriarch herauszufordern, in dessen göttlichen Liturgie-Feiern die Gläubigen im Lichterglanz der Kerzen und im Anblick der Ikonen, Sinnbilder des leuchtenden Glaubens und der warmen strahlenden Liebe erleben.

Seit Jahrhunderten verschleierten und verschleiern Patriarchen und Päpste mit diesen frommen wie absurden Plattitüden ihre brutalen Machtinstinkte, denn welche Erfindung brachte und bringt mehr Macht und Reichtum als die Schaffung von Göttern nach des Menschen Ebenbild, und man wundert sich, dass es Donald Trump versäumte eine Kirche zu gründen, his Church of Devine Victory, und sich zum Papst seiner Kirche zu erklären, denn nichts war und ist einträglicher als die Gründung einer Kirche oder einer Bank, in the past, present and future, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Und wer an Alexei Nawalny denkt, denkt vielleicht auch an Alexander Issajewitsch Solschenizyn, und an dessen Buch Der Archipel Gulag, das 1973 – im Kreml bestimmte Leonid Breschnew das Gesetz des Handelns – erschien. Man denkt an Andrei Dmitrijewitsch Sacharow, den Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe, den Dissidenten und Menschenrechtler, der 1975 den Friedensnobelpreis erhielt, 1970 ein Komitee zur Durchsetzung der Menschenrechte gründete und in einem offenen Brief an die Regierung unter Breschnew die Demokratisierung der Sowjetunion forderte. Sacharow wurde zum Staatsfeind erklärt, nach Gorki verbannt – benannt nach dem Dichter Maxim Gorki, dem Freund Lenins, heute heißt die Stadt wieder Nischni Nowgorod – und wurde durch Michael Gorbatschow rehabilitiert, der in Russland Glasnost und Perestroika einführte, und verbittert klagte, dass der Westen seine Bemühungen Russland zu demokratisieren nicht unterstützt habe; und wer denkt nicht an dessen Zitat, wenn er an seinen Nachnachfolger Putin zu denken gezwungen wird, und wer wird nicht an Wladimir Wladimirowisch Putin zu denken gezwungen, selbst Olaf Scholz wird an Putin zu denken gezwungen: Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum atmen.

Und wer in diesen Tagen des Februar 2024 an Alexei Nawalny denkt, erinnert sich auch, möglichweise, an Boris Pasternak, dessen Roman Dr. Schiwago in Russland nicht erscheinen durfte, weil die Umwälzungen während der Revolution von 1917 in diesem Meisterwerk der russischen Literatur thematisiert wurden. 1957 erschien der Roman in Italien und wurde ein Welterfolg, der Pasternak den Nobelpreis des Jahres 1958 bescherte, den er jedoch unter dem Druck des Kremls nicht annehmen durfte. Und von Boris Pasternak geht der Weg noch weiter zurück bis zu Fjodor Michailowitsch Dostojewski, der am 23. April 1849 verhaftet wurde, weil er zum Kreis Michail Petraschewski gehörte, der sich in seinen Schriften und Zeitungsartikeln für die Demokratisierung Russlands und die Befreiung der Bauern von der Fronarbeit einsetzte, und für diesen Kampf um die Menschenrechte wurden Petraschewski und Dostojewski unter Kaiser Nikolaus I., der von 1825 bis 1855 regierte, und weitere Mitangeklagte, zum Tode verurteilt, doch die Exekution wurde nicht vollzogen, er wurde zu acht Jahre Verbannung begnadigt, und auf das Urteil hatte Nikolaus I. das Urteil auf vier Jahre Sibirien verkürzt, wo Dostojewski während seiner gesamten Haftzeit an Ketten geschmiedet war, auch durfte er nicht schreiben, der mit seinen Romanen Erniedrigte und Beleidigte, Der Spieler, Der Idiot, Die Dämonen, und Die Brüder Karamasow und nicht zuletzt mit seinem Opus Die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, zu den Großen der Weltliteratur gehört.

In dem Tagebuch aus einem Totenhaus porträtiert Dostojewski Aufseher und Gefangene, und wer diesen Bericht aus einem Totenhaus liest, stellt mit Erschütterung fest, dass sich von den Zaren der Dynastie Romanow-Schleswig-Holstein-Gottorp über Lenin, Stalin, bis Putin nichts in Russland geändert hat, und derjenige, der den Mut hatte, Glasnost und Perestroika einzuführen, Michael Gorbatschow, wurde gestürzt, und seine Nachfolger wurden Jelzin und Putin.

In seinen Erinnerungen hinterließ uns Michail Gorbatschow, dem die Deutschen ihre Einheit in Freiheit verdanken, auch diese Sätze: Gutes Verhalten gegenüber anderen Menschen wird hundertfach belohnt. Und an anderer Stelle seines geistigen Vermächtnisses steht geschrieben: Dort, wo Gewalt angewendet wird, steht am Ende die Niederlage aller. Natürlich kann man für eine längere Zeit den Widerstand der schwächeren Seite niederhalten, doch früher oder später führt dies unweigerlich zu einer Explosion.

Putin warf Gorbatschow vor, das Reich verspielt und Russland verraten zu haben, er verachtete den Mann, der der Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt hatte. Doch was radikalisierte den Mann im Kreml, wenn man seine Rede liest, die er am 25. September des Jahres 2001 unter der Kuppel des Reichstages in Berlin gehalten hat, in der er sagte: Ich bin mir sicher, dass die großartigen Veränderungen in Europa, in der ehemaligen Sowjetunion ohne bestimmte Voraussetzungen nicht möglich gewesen wären. Ich denke dabei an die Ereignisse, die in Russland vor zehn Jahren stattgefunden haben. Und an anderer Stelle seiner Rede sagte er: Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der Informationsgesellschaft konnte die totalitäre stalinistische Ideologie den Ideen der Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff die überwiegende Mehrheit der russischen Bürger. Gerade die politischen Entscheidungen des russischen Volkes ermöglichte es der ehemaligen Führung der UdSSR, diejenigen Beschlüsse zu fassen, die letzten Endes zum Abriss der Berliner Mauer geführt haben, sodass wir behaupten können, das niemand Russland wieder in die Vergangenheit zurückführen kann.

Und auch diese Sätze sagte Putin am 25. September 2001 im Deutschen Reichstag: Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen, sowie mit den Wirtschafts –, Kultur – und Verteidigungspotentialen Russlands vereinigen wird.

Von diesen Vorstellungen Putins ist nichts geblieben, und die Frage ist, war es Kyrill, der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus, der Putin als Marionette missbrauchte und missbraucht, um nicht nur die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche wieder seinem Jurisdiktionsprimat zu unterstellen, sondern dem Wahn verfallen ist, darüber hinaus seine Kirche bis an den westlichsten Punkt Europas, den Cabo da Roca in Portugal auszudehnen?

Es gibt keine Absurdität, die nicht nur denkbar ist, sondern, wie die Geschichte und die Gegenwart lehren, nicht möglich wäre, denn wir leben in einer Welt, in der jede Verrücktheit durch die folgenden noch übertroffen wird. In diesem Irrenhaus der Vergangenheit, wie der alltäglichen Gegenwart und Zukunft ist alles möglich und nichts unmöglich, auch dass man die Freiheit im Namen der Freiheit abschafft.



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